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Überstresst? Oder nur gut Stimuliert?

Wild beim Wild im Wald

Ich war heute mit dem Pauli wieder im Wildschweinwald. Also in „meinem“ Wildschweinwald. Pauli hat heute Geburtstag, das Wetter war fein und so hab ich unser Beutelchen geschnürt und wir sind losmarschiert. Im Anbetracht des kommenden Wildschweinwalks wollte ich zusammen mit Pauli einfach mal die Strecke ordentlich absuchen, schauen, obs schon wieder neue Malbäume gibt (die zwei, die ich kannte fielen wohl der Axt zum Opfer), nach Spuren schauen, kontrollieren, obs neue Pfade gibt und derlei Dinge.

Pauli war sehr gschaffig und gründlich, hat mir ganz genau gezeigt, welcher Pfad kürzlich wohl begangen worden ist und welcher schon länger nicht mehr, er musste ganz lange an die Badestelle schauen und hat, wie immer, die ganze Zeit im Schweinewohnzimmer nicht gepinkelt oder andere Geschäfte erledigt. Also eine Menge zu tun. Und auch ein bissel „drüber“.
Pause habe ich dennoch keine gemacht … (mache ich übrigens NIE im wildschweinschwangeren Wald!!) – Warum? Nun ja – ich lege ja auch nicht auf der A9 meine Picknickdecke auf die Fahrbahn und fange an, meine Brotzeit auszupacken 😉 Will sagen: Zum einen ists mir echt nicht wohl dabei, mir zwischen zwei Wildschweinpfaden eine Pausenstelle einzurichten – zum andren geht’s dem Pauli genauso. Der zeigt mir den Vogel.

Durchs wilde Wohnzimmer gehen wir so zügig wie nötig und so so langsam und gründlich wie möglich.


Zwischendurch ein paar Kekse aus der Hand – und gut.
Haben wir das gröbste geschafft, wird Schnorrfußi gegangen und dann, außerhalb des „heißen Gebietes“, machen wir Pause. An unsrem Pausenplatz.

Und da ist mir wirklich zum ersten Mal in all den Jahren bewusst geworden, dass ich in wirklich wilden Gebieten, IMMER feste Pausenplätze an „sicheren“ Plätzen habe. Also an der A9 mindestens ein Rastplatz mit Kloäuserl und Bank und am allerbesten mit Möglichkeit, einen Kaffee zu kaufen.

Also intuitiv alles richtig gemacht.
Warum sag ich das? Und soll man nicht Pause machen, bevor es zu stressig wird?
Natürlich! Pause ist gut und wichtig. Nur geht halt Pause neben der Schweinebadewanne schlecht…Und fest etablierte Plätze geben absolute Sicherheit in solchen Situationen!

Jetzt die Fragen, die mir so während Schnorrfußi, Pausemachen und auf der Heimfahrt in den Kopf gekommen sind…

 

1. Ist ein langer Waldspaziergang Stress? Also kann er ernsthaften Stress erzeugen?
Also … Nein. Und da bin ich nach heutigem Brainstorming ziemlich sicher! Wie könnte etwas, was der Hund seit Jahrtausenden tut, um zu überleben, schädlich stressend sein? Also in der Natur unterwegs sein. Nicht in Stadt, Restaurants, Kirmes und auf viel begangenen Waldwegen oder in Parks. Unterwegs in der Natur ohne „drumrum“. WIE könnte es? Wäre es schädlich stressend, würde irgendwann zum Adrenalin das Cortisol ausgeschüttet werden, bevor der Organismus kollabiert. So könnte ein Hund nie eine Jagd zuende führen, weil das Cortisol alles runterfährt. Adrenalin macht aufnahmefähig und sorgt dafür, dass einem nichts entgeht – und, dass man keine Schmerzen hat, wenn man zum Beispiel durch Gestrüpp jagt…

Stressig wird’s für den Hund erst, wenn der ausgiebige Waldspaziergang „On Top“ ist – zu all den Alltagsdingen und dem „Hundetraining“ – oder wenn ein Hund in SEINEM Wald all den SitzPlatzBleibWegdaRausdaNeinFußAufdenWegAus-Kokkolores machen muss/soll.

Wenn er ständig aus all den Dingen rausgerissen wird, die IHM wichtig sind. Also Fazit: Für einen ullierten Hund, ist ein intensiver Waldgang eher nicht ungut stressig!.

 

 

2. Was, wenns einfach nur „überstimuliert“ ist?

Und davon gehe ich ganz stark aus. Stress heisst ja nix andres, als dass es richtig ungut wird, wenn über einen längeren Zeitraum aus eigenem Zutun keine Entstressung stattfinden kann. Lernt ein Lebewesen hingegen, sich selber zu regulieren, steigt die persönliche Resilenz an. Und man traut sich mehr zu. Das heißt, es ist gut fürs Selbstbewusstsein und aus einer Situation kann Gutes mitgenommen werden.

Mit Schnorrfußi oder an der Leine hin- und her Rennen geht es meistens los.
Schnorrfußi zeigt, dass der Hund von sich aus in die Ruhe kommen kann. Dass er die Ruhe sucht. Das Gleiche gilt fürs Anzeigen, dass man jetzt Pause machen möchte. Also zum Beispiel den Halter ausbremsen (quer vor ihn stellen), auf Baumstämme hopsen (wenn man sonst immer Pause macht, indem man auf Baumstämmen sitzt, verknüpfen das die meisten Hunde)
An der Leine hin- und her Schießen (oder plötzlich in den Wald rennen, bellen, auf jedes Knacken reagieren, Holz fressen, etc.) zeigt, dass der Hund es (noch) nicht kann – und eben beim „runterfahren“ Hilfe benötigt. Das erste Mittel der Wahl wäre also Pause machen. Am besten, bevor der Hund hudeln muss. Was aber, wenn Pause nicht geht? Also weil überall Schweine-/Wildspuren sind, weils viel zu wild ist? Dann kurze Stehpausen versuchen mit Keks aus der Hand. Schlecktube geht oft. Leine kürzer nehmen. Und ganz bewusst alle Basics nochmal covern. Stehen, wenn der Hund steht, Körpersprache, Leinenhandling. Ruhe. Atmen. Weitergehen. Einen Hund in einem sehr wildreichen Gebiet zur Pause bringen zu wollen, kann das genaue Gegenteil bewirken.

 

 

3. Ist eine „Überstimulation“ in gewissen Situationen biologisch sinnvoll)
Ja natürlich. Sehr sogar. Gerade bei Jagd- und Hütehundrassen ist das genau das, was diese Hunde zu ihrer Leistung bringt. Alle Sinne geschärft, leicht „angestresst“ – also „stimuliert“, ist ein Lebewesen viel aufnahmefähiger und auch schneller in der Reaktion.

Junge Hunde neigen auch hierzu. Diese Junghunde sind auch für ein Rudel wichtig, da sie auf alles schnell reagieren und so auch reelle oder vermeintliche Gefahren melden und so die Gruppe warnen.
Hunde, die auf der Jagd sind müssen auch zwingend alle Kanäle offen haben. Eben WEIL sie darauf angewiesen sind, so schnell wie möglich, so viel wie möglich mitzubekommen, um die Chance auf einen Jagderfolg zu maximieren.
Eigentlich Logisch oder?.

 

Genau DIESE Sache ist es aber jedoch, die die Gehirne unserer Hunde im Alltag zum Überlaufen bringt. Stadtgang, Restaurant und dann noch ON TOP in den Wald zur Entspannung. Thats too much! Oder wenn der Hund am Rad durch den Wald rennen oder mit dem Halter Joggen muss und keine Zeit bekommt, diese Reize zu sortieren.
Dann passiert genau DAS … Hirn läuft über, erst der Overload, dann der Meltdown.

 

 

Fazit: Stimulanz JA! Überstressung: NEIN! Und wir müssen lernen, das Eine vom Andren zu unterscheiden 


(c) Sabine Wöhner, Oktober 2020