“Warum labert ihr die Hunde so zu?” “Man muss kurz und klar mit den Hunden kommunizieren” “Wenn ich mit meinem Hund rede, verstärke ich sein (Fehl-)Verhalten” ... solche oder so ähnliche Sprüche
kennen wir alle. Und ja, wir reden viel mit unseren Hunden. Labern wir sie zu? Führt das dazu, dass sie uns nicht verstehen? Warum tun wir das
eigentlich? Nun gut ... hier mal paar “Allgemeinheiten” dazu
Also ich rede ja wirklich schon viel mit meinen Hunden. Meist so ganz normales Zeugs. Immerhin leben wir zusammen und ich möchte mich natürlich im Alltag so benehmen, wie ich mich eben
benehme. Nämlich. Ich lobe, ich bewundere, ich säusle. Und das für alles und für nichts. Ebenso tu ich das mit Keksis. Da werden Keksis verteilt, um nach aufregenden Situationen runter zu
kommen, in der Pause, fürs lieb schauen, fürs flauschig sein, fürs wieder kommen, fürs gar nicht erst weggerannt sein ...
Einigen haut es hier die Fragezeichen aus dem Kopf und der kleine Kritiker auf der Schulter plärrt einem ins Ohr: “HEY ... die belohnt den Hund fürs Jagen! ... die lobt den Hund für Angst! ...
die verstärkt Fehlverhalten durch ihr Gelaber! Und so einiges mehr. Zu Recht? Nun - schauen wir mal...
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Mythos: Wenn man den Hund draußen so zusabbelt, nimmt er einen nicht mehr wahr. Hunde können nämlich nur kurze knappe Sachen verstehen und vor allem steigen sie aus, wenn sie immer zugesabbelt werden
Nun ja ... kann schon sein! Ich selber habe vor einigen Jahren einen Blogbeitrag hierzu geschrieben (wen es interessiert: "Einfach mal die Klappe halten"). Wer diesen unaufmerksam liest, mag zu dem Schluss kommen: “Die Sabine sagt auch, man soll auf dem Spaziergang nicht so viel
Quatschen”. Sage ich das wirklich? Ich erzähle von einer Situation, in welcher ich es genieße, einfach mal nicht sprechen zu müssen (ich tue das die ganze Woche eh viel zu viel) - also ICH ...
mit Menschen Und dass mein Jasko und ich es durchaus mal genossen haben, etwas Maulfaul durch die Gegend zu schlendern. Er ist ja auch schon
“groß” . Und wir sind uns in den meisten Sachen echt “einig”. Ich erzähle dort auch, dass ich, wenn es angebracht ist, ja durchaus schon kommuniziere. Also “normal” halt. Jetzt hatte ich im Kopf,
einen Artikel schreiben zu wollen. Und ich bekomme tatsächlich in der Natur immer die besten Ideen. Nun hat sich meine Mutter “aufgedrängt” (ich liebe sie wirklich, aber!.... *g*) und sie hat
mich während des Spaziergangs ununterbrochen vollgelabert, mit Dingen, die mich NICHT interessieren in dem Moment. Von denen ich nichts wissen will und überhaupt, will ich einfach meine Ruhe.
Verdammt! Und DANN ist nämlich genau das passiert: ich hab abgeschaltet. Bin schneller gegangen (wäre ich ein Hund, hätte ich an der Stelle vermutlich angefangen massiv an der Leine zu zerren),
ungeduldiger und aggressiver reagiert habe und einfach nur WEG wollte. Vermutlich hätte ich, wäre ich ein Hund, hier nach Fortdauern der mich stressenden Situation angefangen, fehlgeleitetes
Beutefangverhalten zu zeigen *g*.
Kurz, ich hatte echt STRESS!
Wäre ich mit Menschen unterwegs gewesen, mit denen ich für den Moment auf einer Wellenlänge läge, hätte das - trotz viel Gerede ganz anders ausgesehen. Da wären nämlich die
Dialoge nicht wie mit Muttern: “Du muss noch den Klempner für mich anrufen, dass der am Donnerstag kommt. Und stell dir vor, beim Arzt war eine Frau mit einem Furunkel mitten im Gesicht! Und
hinter dem Baum da, habe ich mit deinem Vater 1973 fünf Steinpilze gefunden und du musst später dringend für mich zu Aldi fahren und .... blaaaablablablaaaaaaaaaaaa *gnarf”” - sondern da wären
die Gespräche eher so: “hast du schon das neue Buch/den Film/das Video von xyz gesehen?” “Was sagst du zu ....?” “Neulich war ich im neuen Indischen Restaurant und da ....” Und plötzlich macht es
uns gar nichts aus, zugetextet zu werden, weil über Themen gesprochen wird, die ich auch in dem Moment gut finde, wo ich was dazu zu sagen habe und bei denen ich mich wohl fühle.
Im Dialog Mensch-Hund sähe das dann so aus:
Fall 1 (unterwegs mit Mutter)
"Belloooo, raus da, willst du wohl herkommen? Nein, da gehen wir ...BELLO!! Gibts ja nicht, du Teufel, dir werd ich ... komm HIER jetzt! Fuß Fuß Fuß Fuß Fuß Fuß FUSSSS!! BEEELLLOOO!!!! So ein Scheißdreck du blödes Tier, wart nur... Sitz, sitz ... STOP, raus da, ZuuuRRRRückkkkk! HIER, Platz! Bleib, bleib bleib bleib...HIEEEEER, braver bub *keks* FUSS!”
Fall 2 (unterwegs mit Freunden)
“Boah, suuuuper, dass du das Reh gesehen hast! Komm wir gehen da mal schauen. War nix? OK, dann gehen wir halt weiter. Du bist so ein toller Bub, magst nen Keks? Komm mal hier schauen, da ist ein Hase gelaufen” usw. usw...
Ich denke, der Unterschied wird hier schon mal klar? Das eine Mal gehts um Sachen, zu denen wir JETZT im Moment weder Lust noch Nerv haben und im zweiten Fall haben wir einen Partner, der mit uns
das gleiche sieht und wir GEMEINSAM unterwegs sind. Und - durch leises unaufgeregtes Reden halten wir fortwährend Kontakt. Dieser Kontakt kann in vielerlei Dingen hilfreich sein - aber das steht
besser und ausführlicher im Buch “Wege zur Freundschaft” von Ulli Reichmann und in den “Alltagswegen zur Freundschaft”.
Mythos: Loben (oder wahlweise Reden oder die Gabe von Keksen) verstärkt das Fehlverhalten (in den meisten Fällen: Angst und/oder Aggression oder eben Jagen)
Ernsthaft? Da wollen Leute anderen Leuten tatsächlich weismachen, dass, wenn es mir wirklich scheiße geht und ich mich fürchte oder mit einer Situation nicht umgehen kann, dass es mir noch
beschissener geht, wenn mir wer gut zuredet oder mir einen Kaugummi, eine Zigarette oder einen Schnaps anbietet?
Das Einzige, was in so einer Situation fatal ist, ist, wenn meine Vertrauensperson dabei ist und mich ALLEINE lässt - oder mich gar verschimpft, ignoriert oder absurde Sachen von mir verlangt
(“Ja, ich weiß, du hast gerade eine 9-mm am Kopf, aber du musst jetzt wirklich noch über den Text schauen. Und danach die Quersumme aus dem Tangentialsinus aus Alpha-Pi-Quadrat in Relation zur
Hypothenuse des Fischemondes zum relativen Gesamtgewicht einer Quecksilberreaktion beim Beißen in ein Salamibrot mit Gurke berechnen!!”)
Man kann durch Zuwendung keine negative Emotion noch negativer machen. Das ist biologisch einfach nicht möglich! Natürlich kann ich durch Belohnung ein Verhalten hervorrufen/verstärken, aber ich
mache nichts, was für den Hund schlimm ist, noch schlimmer damit. Zum Weiterlesen >>>Klick hier
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Wie ist das nun mit dem Jagen. Das ist ja nun ein Verhalten, oder? Also Jagdverhalten. Und Verhalten kann man durch Belohnung verstärken,
richtig?
Ja, soweit so falsch
Beim Jagen handelt es sich ja um ein höchstgradig selbstbelohnendes Verhalten. Das heisst, die Verstärkung des Verhaltens durch irgendwas, was ich dem Hund anbiete (ein Lob, einen Keks, das
“reinloben” oder “rausjubeln”), ist fast unmöglich. Beispiel: Mein Hochleistungsarbeitshütehund, 2 Jahre, voll in Saft und Kraft, hetzt, weil ich geschlafen habe, einem
Hasen hinterher. Für Hütehunde ist ja Hetzen echt so ziemlich das geilste und da geht denen so richtig einer ab dabei. Hormoncocktail im Körper - und so ein richtig geniales Gefühl. Da dringt aus
der Ferne der Ruf des verzweifelten Frauchens (mir) an das Hundeohr. So ein bisschen. Und mit dem letzten bisschen vorhandener Synapsenverschaltung beschließt der Hund, Kehrt zu machen. Er bricht
also ein hochgradig geniales Verhalten für MICH ab. Und ich sage: feiiiin und halte ihm ein trockenes Stück Keks vor die Nase. Zurückkommen belohnt. Hund wird öfter zurückkommen jetzt.
Ernsthaft? Glaubt das tatsächlich wer?
Hier wäre eine adäquate Verstärkung irgendetwas, was dem, was der Hund gerade für mich abgebrochen hat, nahe kommt. Wenn schon Keks, dann Keks bitte werfen oder kullern. Oder ein Stück mit dem
Hund in die Richtung rennen, aus der er gekommen ist - oder in die entgegengesetzte. Oder ausnahmsweise was werfen... Oder zusammen ein Stück Tau jagen, zusammen raufen und es zusammen tragen ...
also irgendetwas, was ihm ein wenig von dem gibt, was er “gelassen” hat
Anderer Fall: Hund rennt davon, ich feuere ihn an und schicke ihm Lobeshymnen hinterher. Verstärke ich das
Wegrennen? Also das Verhalten, welches aus sich selber heraus schon so sehr belohnend ist? Nein. Aber die Chance ist groß, dass mein Hund mich hört. Und er kommt viel lieber zu einem Menschen
zurück, der offenbar seine Freude teilt - und mit dem er dann zusammen etwas (siehe oben) machen kann - als zu einem schreienden, motzenden, wütendem Menschen, der ihm nichtmal nen lapidaren Keks
gibt, weil das dumme Tier ja weggerannt ist (sich also wie ein HUND verhalten hat ) Also von allen Alternativen, wenn ES
denn mal passiert ist, ist reinloben tatsächlich - auch wenn es paradox klingt - am zielführendsten und die Chance, dass der Hund schneller abdreht als erwartet, steigt enorm. Und es ist NICHT
möglich, dadurch dafür zu sorgen, dass der Hund häufiger wegrennt ... eher im Gegenteil. Aber das ist eine andere Geschichte Noch mehr steigt diese Chance auch dadurch, dass wir einfach im Alltag mit unseren
Hunden so kommunizieren, wie WIR es am besten können.
Bei mir ist das jetzt: “Kommt Jungs, wir gehen noch mal kurz runter. Und Pauli, hör bitte auf, den Opi zu ärgern”
Ach ja - und eine Portion Humor hilft in der Tat auch im Zusammenleben mit Vierbeinigen Freunden ungemein ...
(c) Sabine Wöhner - justfordogs 2018