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Stress im Hundetraining

Vorgänge im Gehirn
Vorgänge im Gehirn

 

 

Heute ein Thema, welches mir sehr am Herzen liegt. Einfach, weil es gilt, eine gesunde Mitte zu finden. Auf der einen Seite wird überall Stress vermutet, Stress gilt als “Belzebub” in der (Hunde-)erziehung, den es unbedingt zu vermeiden gilt - auf der anderen Seite werden Lebewesen pausenlos hoch gestresst, und keiner scheint es zu bemerken.
Natürlich kann man so ein hochkomplexes Thema nicht in ein paar Sätzen abhandeln, viele schlaue Leute haben hierzu auch reichlich Literatur zur Verfügung gestellt - aber ich versuche es trotzdem kurz und knapp zu erklären.

 

 

 

 

Definition

Stress ist eine Reaktion des Anpassungssystems des Hundes (generell für höhere Säugetiere und auch den Menschen geltend) durch eine dauerhafte oder situative Überforderung. Das Tier fühlt, dass es seine Umwelt nicht mehr kontrollieren kann und reagiert darauf mit Angst oder dem Gefühl sich schützen zu müssen. Stress findet im Kopf statt und es gibt keine generalisierbaren Maßstäbe! - Also WAS als Stress empfunden wird, kann keiner von außen “vorgeben”.

 

 

 

Wie entsteht Stress?

Kurz vereinfacht erklärt

Um Stress zu erzeugen, braucht es äußere Faktoren, einen Reiz/Stimulus. Dieser wird über die Sinnesorgane wahrgenommen und landet im Thalamus (Limbisches System). Dieser sitzt im Zwischenhirn und transportiert die wahrgenommenen Informationen (die er als Empfindung erhält) in die Großhirnrinde weiter. Und zwar nach den Kriterien, ob er den Reiz als “gefährlich” oder “ungefährlich” einstuft. Also - der Thalamus sortiert die Reize vor. Wird der Reiz als ungefährlich eingestuft, geht er an die Großhirnrinde, wo erneut geprüft wird. Über die Großhirnrinde wird auch die Bewegung gesteuert - wir erinnern uns an die Aussage, dass Lebewesen oft versuchen, Stress durch Bewegung entgegen zu wirken.


Dabei prüft die Großhirnrinde (Cortex) auf Lernerfahrungen und Erinnerungen. Wird hier der Reiz als bewältigbar oder ungefährlich eingestuft, entsteht kein Stress. Wird hier aufgrund vorangegangener Erfahrung eine “Gefahr” erkannt und ein Signal an die Amygdala (Mandelkern) geschossen oder wird der Reiz aus dem Thalamus gleich als gefährlich eingestuft, landen wir auch hier.
Der Mandelkern verknüpft Ereignisse mit Emotionen und speichert sie. Hat die Amygdala zum Beispiel einen Funktionsaufall, kann das betreffende Lebewesen keine Angst mehr erkennen. Weder empfindet es welche, noch kann er Situationen richtig einschätzen (erkennt es auch nicht an anderen). Dies führt zu großen Problemen im sozialen Umfeld der Betroffenen.

Sieht die Amygdala nun - aufgrund gespeicherter Erfahrungen - Handlungsbedarf, feuert sie den Neurotransmitter Glutamat ab (spielt u.a. für den Muskelaufbau und Bewegungsabläufe eine Rolle). Glutamat bewirkt, dass das Hormon Noradrenalin (“Kampf- und Fluchthormon”) ausgeschüttet wird - und dieses bringt den Symphatikus dazu, noch mehr Noradrenalin auszuschütten.
Noradrenalin bringt dann das Nebennierenmark dazu, Adrenalin auszuschütten.
Adrenalin und Noradrenalin sind die zwei Stresshormone, die den Körper auf eine “Kampf- oder Fluchtsituation” vorbereiten. Atmung wird schneller, Herzschlag erhöht sich, Körpertemperatur steigt etwas. Muskeln werden stärker durchblutet und die Ausscheidungsorgane arbeiten schneller/bzw. stellen die Arbeit ein (kann sich ja keiner leisten, während eines Kampfes oder einer Flucht erstmal das Örtchen aufzusuchen, gell? *g*)

Der Organismus wird also darauf vorbereitet, auf die Situation zu reagieren (das WIE wäre ein anderes Thema *g*). Gelingt es dem Lebewesen, seinen Stress zu bewältigen (durch Kampf, Flucht oder eine andere Lösung - hier sind wir als Hundehalter gefragt, den Hund aus solchen Situationen zu helfen), wird sofort die Produktion von Glutamat gestoppt, Adrenalin und Noradrenalin fahren herunter, Noradrenalin erzeugt beim Abbau Dopamin (Lernverstärker) und die Problemlösung wird in der Amygdala als “Lösung” gespeichert.

Dies sorgt dafür, dass in Zukunft schneller auf diesen Reiz reagiert werden kann. Das funktinoniert leider in zwei Richtungen. Hat das Lebewesen zum Beispiel gelernt, dass ihm “Beißen” in großer Not hilft, wird dieses zur Strategie. Diese Vorgänge sind umkehrbar, es bedarf aber Zeit und Geduld die Informationen im Mandelkern zu überschreiben.

Gelingt es dem Lebewesen nicht, seinen Stress zu bewältigen, wird weiter Glutamat freigesetzt und somit Adrenalin und Noradrenalin produziert. Über einige Umwege löst dies die vermehrte Ausschüttung von Cortisol aus. Dieses wirkt als Gegenspieler zu den Hormonen des Adrenalintyps, welche dann in der Produktion gedrosselt werden. Dies ist auch erstmal biologisch äußerst sinnvoll, denn sonst bekäme das Lebewesen einen Herzinfarkt.

Befindet sich ein Lebewesen über längere Zeit in einem Zustand des nicht bewältigbaren Stresses, also in einer Situation, aus der es aus eigenem Zutun kein Entkommen sieht, dann wird das Cortisol zum Problem. Während der Akutphase (Adrenalin) wird das Immunsystem hochgefahren. Danach aber in einen bedenklichen Ruhezustand versetzt. Dieser hebt sich wieder auf - WENN das Cortisol Ruhe gibt. Ist also ein Lebewesen im Dauerstress, fährt das Immunsystem runter, Krankheitsanfälligkeit steigt, Wundheilung verzögert sich, Schmerzempfinden steigt immens.

Das Cortisol hemmt auch wichtige Entzündungsreaktionen wie z.B. Fieber. D.h. unter Stress zeigen sich Krankheiten mit weniger Symptomen, setzen dem Körper aber mehr zu und brauchen länger, um zu heilen. Auch wird das Zugreifen auf bereits erlerntes erschwert. Hierdurch entsteht neuer Stress, zum Beispiel, wenn der Hundehalter dann ungeduldig wird, streng wird und das bockige Tier auch noch zusätzlich verschimpft. Cortisolstress führt auch zu z.B. erlernter Hilflosigkeit (wenn ich nix mache, mach ich nix verkehrt) und entläd sich sehr oft in einem Präventivschlag (“plötzlich und unerwartet biss der immer freundliche und geduldige Familienhund zu”) Je nach Typus Hund fällt der eine früher, der andere später in den Cortisolstress. Vereinfacht kann man aber sagen, dass Hunde, die für ihre Problemlösungen geschätzt und auch daraufhin gezüchtet wurden, eher versuchen durch reaktives Verhalten ihre Probleme zu lösen und auch schneller und öfter auf diese Strategien zurückgreifen (Hütehunde usw.) als Hunde, die als allgemein sehr kooperativ und wenig reaktiv gelten (hier habe ich erstaunlicherweise sehr oft den Golden Retriever als Cortisol-Kanditat erleben müssen)

 

Hunde vom "Adrenalin"-Typ

(auch als A-Typ bezeichnet)


Aktivierung des Adrenalin-/Noradrenalin- Systems, also der sogenannten Katecholamine, mit folgenden Auswirkungen: Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems (Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz), Beschleunigung der Atmung, Steigerung v.a. der Muskel- und Hirndurchblutung . Im Verhalten zeichnet sich der A-Typ durch Schnelligkeit aus. Bei gleichbleibenden und überschaubaren Lebensumständen ist der A-Typ daher schneller in der Lösung von Problemen, hat jedoch auch eine geringere Frustrationstoleranz und ist bei nicht lösbaren Problemen bzw. durch sich ändernde Umwelten oft schnell überfordert.

 

Hunde vom "Cortisol"-Typ

 (auch als B-Typ bezeichnet)


Aktivierung des sogenannten Glucocorticoid-Systems, d.h. mit den Hormonen der Nebennierenrinde. Cortisol ist dabei beim Hund das Haupthormon. Der B-Typ reagiert dadurch bei lange andauernden Belastungssituationen mit einer Unterdrückung des Immunsystems mit folgenden Auswirkungen: Anfälligkeit für Krankheiten, Parasiten, Tumore, Anstieg von Autoimmunerkrankungen, Neigung zu Diabetes Neigung zu Leber- und Nierenerkrankungen. Im Bereich des Verhaltens reagieren B-Typen in neuen und unbekannten Situationen zurückhaltend, beobachtend und eher passiv; sie machen daher den Eindruck eines wenig lernmotivierten und auch wegen der mangelnden Kontaktfreudigkeit eher ungeselligen Lebewesens. In nicht überschaubaren, ständig wechselnden oder sonstwie unplanbaren Situationen sind B-Typen allerdings wesentlich besser aufgestellt und können dort auch bessere Lösungen finden als die meist sehr schnell aufgebenden A-Typen.

 

Regelkreis Adrenalin

  • weniger Nachteile
  • Chance, Erfahrungen positiv zu verknüpfen (Dopamin und Noradrenalin wirken bestätigend)
  • Fähigkeit der Abspeicherung verbessert sich (allerdings ist nicht immer alles gut, was gespeichert wird)
  • während der kritischen Entwicklungsphasen führt ein bewältigter Adrenalinstress dazu, dass sich die Gehirnregionen vergrößern
  • Durch gute und faire Führung lernen die Hunde schnell, Druck aus der Situation zu nehmen.
    Funktioniert allerdings auch umgekehrt

 

Regelkreis Cortisol

 (=Problemhormon Nr. 1 bei Langzeitüberforderung)

 

  • in höherer Konzentration werden Trainings- und Lernverhalten negativ beeinflusst
    • Zugang zu bereits gelerntem nicht mehr möglich
    • Stress schaukelt sich immer wieder auf
    • Hunde haben ständig das Gefühl des Scheiterns, selbst wenn Mensch mit Verständnis reagiert
    • Aversive zu strenge Trainings- und Erziehungsmethoden erhöhen das Gefühl des Ausgeliefertseins
  • ist in die Zukunft gerichtet
    • Abspeicherung von Fakten wird beeinträchtigt, neue Lerninhalte (Bewegung, Signale) werden erschwert oder verhindert – in stressender Umgebung ist dies überhaupt nicht mehr möglich
    • Abspeicherung der Begleitumstände wird erhöht
  • Zelltod im Gehirn (Verarbeitungszentrum) in den Zellen, die man für Lernmotivation, Neugier, Erkundung, Abspeicherung von Wiederholtem benötigt (Hypocampus), entsteht irreparabler Schaden.
    • ruft Konzentrationsschwäche hervor
    • bei oft einhergehender Schlaflosigkeit fehlt die Phase, in der Gedächtnisinhalte gespeichert werden (deswegen: RUHEZEITEN einhalten!!)
    • erlernte Hilflosigkeit – wer nichts macht, macht nichts falsch, Strategie für unsichere Umwelt



Woran erkennt man Stress?

  • Hecheln/Zittern
  • Rote Augen
  • Ausschachten
  • Aufreiten
  • gesteigerte Aggression
  • Antriebslosigkeit
  • Fluchttendenz
  • Unruhe
  • lernt sehr langsam
  • schlechte Konzentration
  • Jagen
  • mobben von Artgenossen
  • zu viel oder zu wenig Interesse an der Umwelt
  • Ungeselligkeit
  • Durchfall/Erbrechen
  • zäher Speichelfluss
  • Bellen, Jaulen, Winseln
  • Zerstören von Gegenständen
  • Schuppen, stumpfes Fell
  • harte Muskulatur
  • Ersatzhandlungen

 

 

Was mir sehr wichtig ist:

 

Nicht jedes Hecheln ist Stress. Nicht jedes Gähnen ist Stress. Nicht jede Maulfalte ist Stress ... usw.

Um Stress diagnostizieren zu können, braucht es eine Beurteilung der Gesamtsituation. Immer.

Anhand eines Fotos von Stress zu sprechen, geht am Ziel vorbei. Dies kann immer nur eine situative Momentaufnahme sein. Kurzer Adrenalinstress wird in der Verhaltensbiologie als “Stimulanz” bezeichnet - also als durchaus wünschenswert.

 

Bewältigter Stress führt zu einem lernfreudigen, schnell lernenden Lebewesen, welches für die Zukunft adäquate Problemlösungsstrategien in der Hand hat.

 

 

Noch wichtig:


Ist mein Hund in einer ihn stressenden Situation, sorge ich dafür, dass er mit einem guten Gefühl aus der Situation herauskommt - diese also NICHT im Stress verlassen muss (wegzerren usw.) Hier können wir durch viel gutes Feedback, Keksis streuen, Ruhe bewahren usw. viel Druck nehmen - und wenn ein Lebewesen merkt, dass ihm nichts passiert und er sich auf uns verlassen kann - dann lernt es dadurch sehr viel Gutes. An Stress durch Überforderung und überzogene Vorstellungen, was wieviel ein Hund in welcher Zeit können/leisten muss, können wir selber arbeiten.

 

Kratzt man nie an der Stimulanzgrenze, kann man auch nie an der Stressresistenz arbeiten 

 

 

Also - die Dosis macht das Gift. Immer


(c) Sabine Wöhner, Mai 2017

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