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Ich geh schon mal vor

Warum Hunde unbedingt vorne gehen dürfen :-)


Akita Asami von Iris Dierkes beim Erkunden der Umgebung
Akita Asami von Iris Dierkes beim Erkunden der Umgebung

 

Kennt Ihr das? Also ich bin mir sicher, dass schon  ziemlich fast jeder von irgendwoher (leider auch manchmal von Fachpersonen) folgende Sprüche so oder in der Form gehört hat:

  • "Du bist der Chef, du läufst vorne"
  • "Wer führt, geht vorn"
  • "Der hat hinter dir zu laufen"
  • "Der darf nur bis zum Knie und nicht weiter"

 

Warum das schlichtweg Unfug ist und warum es viel besser ist, wenn dein Hund voraus gehen darf, möchte ich im folgenden Artikel erläutern.

Du bist der Chef und Du läufst vorne

 

Das ist irgendwie der Spruch, der mich am allermeisten verwundert. Die einzige Gelegenheit, wo ein Befehlshaber oder jemand, der etwas zu sagen hat, vorläuft, ist bei militärischen Paraden, Märschen oder bei sonstigen repräsentativen Veranstaltungen. Und auch da nicht immer. Ansonsten sitzen die "Chefs" in der Menschenwelt in ihrer "Schaltzentrale" und lassen die andren marschieren, äh arbeiten  ;-)

 

Im Normalfall laufen vorne die jüngeren Hunde. Die sind nämlich noch so sensibel und wachsam, dass sie alles verdächtige melden und so die Gemeinschaft warnen. Auch im Falle eines Angriffs durch eine fremde Familie oder wildlebende Tiere oder sonstiger Gefährlichkeiten macht es mehr Sinn, das Jungvolk zu verheizen, als das "Oberhaupt" - wenn dem nämlich etwas passiert, bricht das ganze Gefüge zusammen. Die Jährlinge sind ein vortreffliches Kanonenfutter - und wenn die kaputt gehen, dann macht man halt neue. Klingt brutal - aber so ist halt das wilde Leben da draußen ;-)
Ein Anführer agiert meistens aus der Mitte - vorne die Lauten und entbehrlichen und hinten die erfahrenen, älteren, die die Gruppe nach hinten "abriegeln" und in der Position auch gut geschützt werden könnten. Erst, wenn es die Situation erfordert, kommt der Vaddi nach vorne.

 

Auch auf der Jagd oder der Revierverteidigung läuft keinesfalls immer der Chef vorne, sondern der, der den Job einfach besser kann. Und mal ehrlich - WIR. Da draußen im Wald. Mit unseren verkrüppelten Sinnen. Wir können (fast) garnix so wirklich...

 

Wer führt geht vor / Der hat hinter dir zu laufen

 

Hier trifft fast alles zu, was auch weiter oben beim ersten Punkt steht. Eine kleine Ausnahme möchte ich jedoch unbedingt erwähnen: Wenn der Satz da lauten würde "Wer beschützt geht vor", dann würde fast ein Schuh draus. Selbstverständlich gehe ich an unübersichtlichen Stellen, an Engpässen oder anderen grusligen Stellen vor meinem Hund. Dies ist dann aber kein Führen im Sinne von "Anführen", sondern im Sinn von "Ich gebe dir Orientierung und achte auf Dich". Oft gehen Hunde, die situativ unsicher sind, auch von sich aus nach hinten, wenn sie sich gerade überfordert fühlen. Freilwillig! Weil sie uns vertrauen. Nicht, weil wir es ihnen abverlangen.

Und so kleine Machtspielchen wie "der hat hinter dir zu laufen" sind einfach nur armselig. Warum sollte er das zu haben haben?

 

Erstaunlicherweise gilt dieses "Ich bin Chef, ich geh immer vor" nur bei schönem Wetter. Wo bei Sonnenschein der "Chef" immer zuerst durch die Tür zu gehen hat, wird der Hund bei Regen durch die Terassentür einfach in den Garten geschmissen, während der "Chef" auf dem Sofa liegen bleibt ;-)

 

Der darf nur bis zum Knie und nicht weiter

 

Ist der Mensch tatsächlich der Meinung, dass sein Hund "da vorne" nichts zu melden hätte? Ich habe sogar schon erlebt, dass Hunden gewisse Zeiträume gegeben werden, in welchen sie Schnüffeln oder Markieren durften. Haben sie es nicht in der vorgesehenen Zeit geschafft, wurden sie oft sehr unhöflich weiter"gebeten" . Ich frage mich da immer, wieviel Angst so ein Mensch haben muss vor seinem Hund, wenn er glaubt, durch das Gestatten kleiner, freundschaftlicher Selbstverständlichkeiten würde der "Famlienhund" plötzlich Allmachtsphantastereien entwickeln. Derlei Phantasien sind eher ein menschliches denn ein hundliches Gedankenkonstrukt ...
Und wer es schon einmal erlebt hat, WIE schnell ein Hund hinten seitlich in den Wald preschen kann, weiß, dass Jagen auch von hinten geht. Und so mancherlei orthopädisches Problem hätte sich vermeiden lassen können, hätte der Hund vorne gehen dürfen - und uns somit gezeigt, wenns was zu Jagen links und rechts des Weges gibt. Stattdessen kriegt der Hund Schelte, weil er sich verhält wie ein Hund ...

 

Von den Methoden, die oft angewendet werden, um dem störrischen Tier beizubringen,

endlich hinten zu gehen, will ich an dieser Stelle überhaupt nicht sprechen :-/


Was spricht alles dafür, dass der Hund vorne gehen sollte?

Schulung meiner Wahrnehmung

  • Ich sehe, was als nächstes passiert. Läuft mein Hund hinter mir, kann ich nicht an ihm erkennen, was er im Sinn führt.
  • Ich lerne, meinen Hund zu lesen. Wie reagiert er auf was. Unsere Hunde wissen lange vor uns, was sich in der Ferne gerade regt.

Bedürfniserfüllung

  • Ich sehe meinen Hund. Also kann ich ihm ermöglichen, dort zu schnüffeln, wo es ihn interessiert und wo es wichtig für ihn ist. Er kann sich ohne Stress lösen, weil ich es einfach sehe, wenn es so weit ist. Zwinge ich meinen Hund, hinter mir zu bleiben, gerät er bisweilen in große Not

Gemeinsamkeit

  • Geht mein Hund vorne, kann ich mit ihm ZUSAMMEN die Welt entdecken. Er wird mein Auge und mein Ohr. Ich lerne, das zu sehen, was er sieht, riecht und hört.

Wir kommen in den wirklichen Dialog

  • Indem man auf diese Weise zusammen unterwegs ist und sich auch die Ruhe gibt aufeinander zu achten, können tatsächlich reelle Dialoge entstehen.
  • Hunde stellen Fragen, indem sie zurückschauen "Wo gehen wir als nächstes?", "Hast du das gesehen?" und dergleichen
  • Wir können von "hinten" richtig gut moderieren "Magst auch mich warten?", "Was hast du denn da gefunden?", "Wir gehen da jetzt bitte nicht rein", "Magst du da mal schauen?", "Du machst das gerade sehr toll" - usw.

Und das allerallerbeste:

Hunde können unser größter Lehrer sein

  • Wenn wir uns darauf einlassen, unsere Hunde lesen zu lernen, zeigen sie uns so viel!!
  • Welches Tier ist hier wann gegangen?
  • Achtung, hier gehen wir besser nicht weiter (z.B. wegen Wildschweinen)
  • Wo liegen verletzte Tiere?
  • Wo sind hilflose Jungtiere?
  • Sie helfen uns, eine vollkommen neue Welt zu sehen.
  • Sie helfen uns, uns achtsam in der Natur zu bewegen (gerade in der Brut- und Setzzeit sehr wichtig)

 

Wir müssen gar nicht viel dafür tun ... nur unsere Hunde vor gehen lassen ;-)

 

Also, dass mir die Hunde, die immer nur hinten gehen dürfen, sehr leid tun, ist mal klar - aber just beim Schreiben dieses Beitrages ist mir erst wirklich bewusst geworden, wie viel mehr mir die Menschen leid tun, die meinen, sie müssten im Stechschritt vorausgehen.

Was die so alles nicht sehen, fühlen und erleben dürfen ...

 

Postskriptum:


Ich werde NIE verstehen, wie sich Menschen freiwillig um den Genuss bringen wollen, fröhlich wackelnde Hundepopos und flauschig-wippende Puschelruten beim Spazierengehen zu beobachten und sich aufs äußerste daran zu erfreuen!

Und die leuchtenden Augen in ihren strahlenden Gesichtchen, wenn sie etwas Spannendes entdeckt haben und es  uns zeigen möchten ...

Und die äußert entzückend wippenden Öhrchen ...

 

Das allerletzte Wort:


Manche Hunde gehen, wenn ihr Köpfchen voll ist und sie eine Pause bräuchten (habe ich schon erwähnt, dass ich ein großer Fan von "Pause machen" während des Spaziergangs bin? Mit Kekse streuen usw. damit bisher Erlebtes (Jogger, Kinder, andere Hunde, Wild oder auch einfach nur die Umwelt) verarbeitet werden kann und es mit gesammelten Kräften weiter gehen kann) sich selber gerne neben ihrem Menschen einsortieren?

Ich sehe so oft, dass Hunde während des Spaziergangs neben ihrem Menschen laufen möchten und dann weg geschickt werden. Weil die sollen ja jetzt gefälligst ihren Spaß haben. Und dann, wenn sie so richtig oben drüber sind, und sich nicht mehr selber regulieren können, werden sie nach hinten oder an die Seite zitiert, damit sie sich erholen können. Verkehrte Welt ....


Heißer Tipp für alle, die ihre Hunde gerne immer vor gehen lassen ;-)

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„Sei mein Scout“ ist ein leidenschaftliches Plädoyer für ein harmonisches und respektvolles Miteinander – sowohl mit den Tieren des Waldes, der Wiesen und der Auen als auch mit unseren Hunden