Wer hat diesen Spruch als Hundehalter noch nicht gehört?
Ich kann mich an die Zeit kurz nach dem Millenium erinnern - damals waren Hundeforen total in und man konnte sich allerlei Informationen, Tipps, Tricks, Erfahrungen aus den Beiträgen ziehen -
aber mindestens genausoviel Unfug. Also wie Facebook und anderes Social-Media in "altmodisch"
Eine Frage, die immer mal wieder gestellt wurde war:
"Sagt mal, was können Eure Hunde denn schon alles"
Und dann ging es los. Tricks und "Kommandos" wurden aufgezählt. Teilweise waren die Hunde unter einem halben Jahr, im Besten Fall gerade mal ein Jahr alt. War jemand dabei, dessen Hund "nur"
Sitz, Platz, Bleib, Fuß konnte, wurde auf diesem eingeredet, dass sein Hund ja UN-BE-DINGT mehr Beschäftigung bräuchte und was für ein*e schlechte*r Halter*in er/sie doch sei.
Dann wurden die Zeiten aufgezählt, in denen man mit dem Hund Spazieren ging. Also eigentlich hätte man in der damaligen Zeit Arbeitslose*r bei doppeltem Lohnausgleich sein müssen, damit man auch
ja dem Hund gerecht wird.
Der kleine Spaziergang waren 1,5 Stunden, der große dann bis zu 3 und Abends die "kleine" Pinkelrunde vor dem Schlafengehen nochmal ne Stunde.... Also man hat sich gegenseitig übertroffen,
übertrumpft und überrannt.
Ein Wettkampf!
Diejenigen, die schon "etwas weiter" waren und sich nicht mit belanglosen Tricks und derlei zufrieden geben wollten, stellten unzählige Videos ein vom Training zur Begleithundeprüfung . Dann
wurde da auch wieder geprahlt und gestritten:
"WAAAAS, ihr macht kein Platz aus der Bewegung?? Na dann ist das nicht DIE richtige Begleithundeprüfung"
"Warum gibts bei Euch drei BGHs?? Wir müssen das alles in einer können"
Also auch da wurde wieder verglichen, geprahlt - und sich nicht selten schlecht gefühlt.
Mit dem heutigen Abstand und dem, was ich heute weiß, kann ich da echt einfach nur mit dem Kopf schütteln. Fand ich damals schon befremdlich - und heute find ichs noch viel schlimmer!
Muss man wirklich "besser" sein als die anderen?
Mit dem Jasko war ich ja teilweise auch so ein bissel in dem Fahrwasser - ich wollte eben das, was ich meinen Kunden lehre, auch selber mit meinem Hund zeigen können. Alles!
Aber damals bin ich ja auch noch dem Glauben aufgesessen, dass man einen Hund mit von Menschen ersonnenem Firlefanz gut auslasten könne ;-)
Angefangen bei DogDance, über Agility, Mantrailing, allerlei Tricks bis hin zu Fun-Obedience und Heelwork hab ich diesen armen Hund wirklich sehr gequält ;-)
Ich hoffe, er hat es mir nicht übel genommen. Immerhin hat er mir irgendwann mal so richtig gezeigt, was er von all dem Kokkolores wirklich hält...
Ich glaube, dieser Tag, an dem er mal "NÖ" gesagt hat, hat bei mir irgendwie alles verändert *schmunzel*
Einmal, war ich mit einer Kundin unterwegs und Jassi ist tatsächlich stiften gegangen. Ich innerlich im Boden versunken - höre, wie die Kundin sagt: "Puh, also DAS hab ich heut wirklich
gebraucht! Dass DER das macht, lässt mich gleich viel besser fühlen!"
Das hat mich wahrhaftig zum Nachdenken gebracht ..
Oder wenn Kinder auf die Frage "Was magst du denn mit Deinem Hund so machen" gesagt haben: "Ich möchte, dass mein Hund so wird wie Deiner"
Zuerst, das muss ich unverhohlen zugeben, fühlte ich mich selbstverständlich geschmeichelt. Mit der Zeit wurde das seltsame Gefühl im Herzen und im Magen immer stärker.
Irgendwann mal antwortete ich: "Aber Dein Hund ist doch ein eigenes Wesen! Wie würdest du finden, wenn deine Mama zu Dir sagen würde, dass du doch bitte so sein solltest, wie der Fritzi von
nebenan?"
Und dann war betretenes Schweigen zu hören. Von der Mutter, vom Kind. Und ich war erschrocken, dass ich sowas einem fremden Kind tatsächlich gesagt hatte.
"Danke!" hörte ich mit einem tiefen Schnaufen von der Mutter. Und ein gemurmeltes "das wäre voll gemein" vom Buben.
Das wäre voll gemein!
Jawohl. Das wäre nicht nur voll gemein, das IST voll gemein. Das trifft ja auf recht viel im zwischenmenschlich- und artenübergreifenden Zusammmenleben zu. Irgendwas ist immer. Ob der/die Partner*in ein Kulturbanause ist und meine Vorstellung einer perfekten Partnerschaft Museen- oder Opernbesuche beinhaltet , ob das Kind grüne Haare hat und meine Vorstellung vom perfekten Kind eher einer/s adrett gekleidete*r Musterschüler*in entspricht - oft ist uns das, was wir haben nicht genug.
Einfache Lösung:
Die Lösung ist so simpel wie erstaunlich:
- Was wäre, wenn wir uns auf das konzentrieren, was alles gut läuft
- Was wäre, wenn wir das anschauen, worin unser Kind/Partner*in /Hund / whatever richtig gut ist und uns dafür interessieren?
- Was wäre, wenn wir uns Sachen überlegen, die uns beiden Spaß machen (Vorsicht: Nicht alles, was wir so glauben, was unseren Hunden Spaß macht, tut es das wirklich! ) ... oder
- was wäre, wenn wir einfach mal gemeinsam Dinge tun, die dem Hund so richtig Freude machen? (Zusammen "Jagen", sie beim Buddeln anfeuern, sie in Ruhe fertig schauen, riechen, hören lassen?)
Mal zum Nachdenken:
Damals, als mein Pauli eingezogen ist (da war er 10 Monate alt und ist in der Zeit auch bös von einem Hovawart verletzt worden, der ihn im Genick gepackt und ihn wie ein Karnickel geschüttelt hat - und nicht mehr aufhören wollte), wussten das ja auch einige Leute, Freunde, Kunden von mir.
Und nach kurzer Zeit kam tatsächlich die Aussage:
"Na wenn der bei Dir ist, kann der sicherlich schon ALLES"
Ja. Er konnte ALLES. All das, was Hunde fürs Überleben brauchen, konnte er bereits, als er zu mir gekommen
ist.
Was er bei mir gelernt hat war schlicht:
- Wir rennen bitte den Opi (mein inzwischen 11 jähriger Jasko) nicht um
- Wir rennen nicht die Treppen runter, sonst fällt der Opi runter
- Wir warten auf den Opi
- Wir schmeißen den Rollator vom Menschen-Opi nicht um
- Wir schmeißen überhaupt den Menschen-Opi nicht um
Daneben musste er sich noch lernen, mit uns als Familie (Meine Eltern wohnen unten im Haus, ich oben) zurechtzukommen, sich an unseren Tagesablauf zu gewöhnen,
unsere Gepflogenheiten zu erkunden....
Ja bitte - WAS denn noch alles?
Inzwischen ist der Bub 8 Jahre alt - und der zuverlässigste Hund, den ich je hatte ... außer es kommen fremde Hunde, die ihn "komisch" anschauen - da braucht er nach wie vor meine Hilfe
(siehe oben)
Und - Joschi ist mit 5 Monaten eingezogen - ein "Second-Hand" Hund mit allerlei Baustellen.
Aber - inzwischen fragt mich - gottseidank - keiner mehr ;-)
Buchtipp
Perfekt unerzogen
Ulli Reichmann wagt jetzt einen weiteren Schritt und stellt unter anderem folgende Fragen:
- Wieviel Erziehung brauchen Hunde wirklich?
- Gehen manche Einmischungen des Menschen in ihr Verhalten zu weit?
- Sind menschliche Problemlösungen tatsächlich besser als die, die Hunde von sich aus anbieten?
- Haben wir das Recht, Hunde völlig nach unseren Vorstellungen zu formen?
- Schätzen wir unsere Hunde für das, was sie sind oder nur dafür, was wir aus ihnen gemacht haben?
Die naheliegenden, manchmal verblüffenden oder auch betroffen machenden Antworten auf diese Fragen liefert dieses Buch, veranschaulicht mit den für die Autorin typischen persönlichen Erzählungen. Ein teilweise provokantes, teilweise berührendes, aber nie belehrendes Buch, das vor allem eines will: Zum Nachdenken anregen und damit den Weg bereiten für ein noch freundschaftlicheres Verhältnis zwischen (gar nicht so) unterschiedlichen Spezies.