· 

Hundeprobleme - Problemhunde

„Problemhundeberatung“ – „Wir helfen Ihnen bei problematischem Verhalten Ihres Hundes“ – „Mein Hund ist ein Problemhund“ – „Ihr Hund zeigt Problemverhalten?“
So oder so ähnlich kann man es in allerlei Beiträgen in sozialen Netzwerken, auf Internetpräsenzen von Hundeschulen, in Mails von Kunden usw. lesen.
Mir scheint – es gibt nur noch „Problemhunde“ … Ist das so? Schauen wir mal genauer hin…

Folgende Punkte findet man häufig unter „Problemverhalten“:

  • Der Hund jagt
  • Der Hund lässt niemanden ins Haus/Grundstück
  • Der Hund zeigt Aggression gegenüber Artgenossen
Und jetzt lesen Sie mal Punkt für Punkt nochmal. Notfalls noch einmal. Fällt es Ihnen auf?
Nein? Ok, dann helfe ich gerne ein wenig nach:

1. Der Hund jagt

Achso?? Ein Hund, der jagt ist also ein „Problemhund“? Hm… ohne die Fähigkeit zu Jagen hätte es der Hund wohl kaum in unsere heutige Zeit geschafft – da er schlicht nicht überlebt hätte… Jagen ist ein hochgradig sich selbstbelohnendes Verhalten (und zwar jede einzelne Sequenz!!) – und das ist gut so. Würde sich jede einzelne Jagdsequenz nicht ständig und stark selber belohnen, auch bei Nichterfolg, würde das Verhalten „Jagen“ bei häufiger Erfolglosigkeit weniger gezeigt werden. Dies darf aber nie passieren – denn sonst verhungert der Hund. Jagen ist also ein zutiefst genetisch verankertes Überlebensprogramm unserer Hunde. Dabei spielt es keine Rolle, ob daheim ein gut gefüllter Napf steht oder nicht. Oft im Gegenteil – denn durch den guten Ernährungs- und Gesundheitsstatus unserer Hunde haben diese oft erst die Energie zu „erfolgloser Jagd“ oder zu „sinnloser Hetzerei“. Ein Hund, der jagt um nicht zu verhungern beschränkt sich oft auf das Jagen von Kleinsäugern und dem Plündern von Mülltonnen, anstatt die ohnehin nicht zur Verfügung stehende Energie bei einer erfolglosen Hetzjagd auf große oder sehr schnelle Beutetiere zu verschwenden.

2. Der Hund verteidigt sein Revier

… was auch durchaus sinnvoll für ihn ist. Hunden ist es quasi in die Wiege gelegt, dass sie den Bereich, der ihnen und ihren engsten Sozialpartnern vorbehalten ist, notfalls verteidigen. Zumindest aber „Störungen“ (Leute auf dem Grundstück, am Zaun, an der Haustür usw.) melden, damit sich derjenige, der dafür zuständig ist, die Umgebung zu sichern, gewarnt und informiert ist. Auch das sichert die Sicherheit und unter Umständen das Überleben der Gruppe. Isso! Jahrelang wurden Hunde einzig zu diesem Zweck gezüchtet und gehalten (Bauernhöfe, größere Anwesen, Schutz von Schaf- oder Viehherden usw.) – und nun plötzlich ist dies ein Problemverhalten? Achso.

3. Der Hund zeigt Aggression gegenüber Artgenossen

… dabei haben wir doch alle die rosarote Vorstellung, dass unser vierbeiniges Kind sich mit anderen vierbeinigen Kindern in totaler Harmonie im ausgelassenen Spiel dem Sonnenuntergang entgegenspielt… was läuft hier schief? Eigentlich gar nichts. In freier Wildbahn, bei ursprünglichen Hunderassen, bei Wölfen und auch in Gruppen von verwilderten Haushunden ist Spiel unter Erwachsenen nicht üblich. Auch werden fremde erwachsene Artgenossen – manchmal sehr unsanft und deutlich – vom eigenen Rudel ferngehalten. Nun sind unsere Haushunde vom Verhalten eher so wie junge Wölfe – also quasi werden sie oft nicht richtig erwachsen und autark – deswegen kommen sie in der Regel auch relativ gut miteinander klar. Aber eben nicht alle. Natürlich spielen hier auch Vorerfahrungen, schlechte Erlebnisse in der Vergangenheit und die individuelle Persönlichkeit dazu – aber wenn man unter dem Strich davon ausgeht, dass dieses eigentlich ganz normales Verhalten ist, kommt man als Hundehalter vielleicht besser damit klar. Hier finde ich es besonders absurd, dass man Artgenossenaggression oft mittels Gewalt, aversiver Trainingsmethoden (Sidekick, Leinenruck, Wasserspritzen, Anrempeln usw.) Unterdrückung oder bestenfalls Unterordnung „in den Griff“ bekommen möchte. Das ist nicht nötig. Viel zielführender ist es hier, dem Hund Lösungsstrategien zu zeigen (oder noch besser: Selber erarbeiten zu lassen), dass dieses Verhalten nicht nötig ist.

 

Fazit:

Ein Hund verhält sich wie ein Hund – und so, wie es ihn belohnt. Und all die „NEINS“, die man vielerorts hört, sind strenggenommen „Neins“ zum Hund an sich.

  • Hund will jagen – NEIN
  • Hund bellt andere Hunde an – NEIN
  • Hund macht seinen Job und meldet Eindringlinge – NEIN
  • Hund will gefundenes Essen fressen – NEIN (wobei hier ein gutes Training, damit der Hund gefundenes Fressen liegenlässt oder anzeigt und ein positiv aufgebauter, gut sitzender Abbruch durchaus sinnvoll da lebensrettend, sein kann)
Bei all diesen „Problemen“ hat nicht der HUND ein Problem, sondern der Mensch. Es kann ja nicht sein, dass unser verschmuster Sofawolf draußen zum Jäger wird, oder zum Hulk mutiert, wenn er einen Artgenossen trifft. Und so wird mit allen Mitteln versucht, das Problem zu lösen, dass man selber mit derlei Verhalten hat – und dieses Vorgehen ist oft am Wesen der Hunde vorbei und von mäßigem Erfolg gekrönt, da der Mensch dem vermeintlichen Druck der Umwelt nachgibt und alles tun will, um dieses „peinliche“ Verhalten abzustellen. Und dieses führt oft zu unangemessener Härte, da der Druck auf den Hundehalter wächst. Der Hund soll mit aller Gewalt an seine Umwelt angepasst werden – und das geht oft schief und zu Lasten des Hundes. Besser wäre hier – zum Einstieg und als Türöffner – die Umwelt und den Alltag an die tatsächlichen Bedürfnisse des Hundes anzupassen. Also dass man sich einige Schritte IN die Hundewelt hineinbegibt und dann mit dem Hund zusammen in angepasster Geschwindigkeit in unsere Welt geht. Auf diesem Weg lernt man oft erstaunliches über seinen Hund, beginnt ihn mit anderen Augen zu sehen und erhält die Chance, sich als verlässlicher und fairer Sozialpartner zu erweisen. Viele „Probleme“ werden schon dadurch abgeschwächt, verschwinden ganz oder werden von uns nicht mehr wirklich als „Probleme“ wahrgenommen (und durch den gelasseneren Umgang damit helfen wir zusätzlich dem Hund – zum Beispiel bei Artgenossenaggression, die aufgrund schlechter Erlebnisse resultiert)

Also – fangen wir heute damit an, „JA“ zu uns und unserem Hund zu sagen! Immerhin ist er ein Hund

(c) Sabine Wöhner, 2018